Die (selbstauferlegten) Grenzen der Wissenschaft

Stephan Pühringer und Carina Altreiter
Economists for Future, 2023
Level: leicht
Perspektive: Diverse
Thema: Reflexion der Ökonomik, Ressourcen, Umwelt & Klima
Format: Essay

Die (selbstauferlegten) Grenzen der Wissenschaft

Stephan Pühringer und Carina Altreiter

Erstveröffentlichung im Makronom

Die moderne Akademia bietet keine guten Rahmenbedingungen für gesellschaftskritische Transformationsforschung. Eine Reform sollte an vier Punkten ansetzen. Ein Beitrag von Stephan Pühringer und Carina Altreiter.

                   



Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.

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Die Makroökonomik ist eine Teildisziplin der Volkswirtschaftslehre, die sich mit der Frage beschäftigt, wie eine Volkswirtschaft gesteuert wird. Traditionelle Ziele sind Vollbeschäftigung und Preisstabilität, die im 21. Jahrhundert durch das übergeordnete Ziel des nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen ergänzt werden.

Der bisherige Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente der Fiskalpolitik (Kürzungen der Staatsausgaben, Steuersenkungen für höhere Einkommen und Unternehmen), der Geldpolitik (Zinserhöhungen der EZB) und der Handelspolitik hat zu Problemen geführt, die uns seit Jahrzehnten begleiten und heute besonders präsent sind: wachsende Ungleichheit, Massenarbeitslosigkeit, Klimawandel, zu hoher Ressourcenverbrauch. Um diese Probleme zu lösen, müssen wir unsere wirtschaftspolitischen Instrumente anders einsetzen. Nur dann können wir hoffen, die damit verbundene gesellschaftliche Transformation in Gang zu setzen.

Private und öffentliche Unternehmen produzieren, was wir kaufen. Unternehmen produzieren nur, wenn sie glauben, ihre Produktion absetzen zu können – ohne Absatz kein Gewinn. Unternehmen müssen in finanzielle Vorleistung gehen, da sie in der Regel erst ihre Produktionsmittel beschaffen müssen, bevor sie ihre Produkte verkaufen – die Produktion braucht Zeit. Viele Unternehmen leihen sich daher Geld, um überhaupt produzieren zu können. Für diese Kredite müssen sie wiederum Zinsen zahlen, weswegen Gewinne für den dauerhaften Betrieb privater Unternehmen notwendig sind. Wenn Unternehmen keinen dauerhaften Gewinn erwirtschaften können, verschwinden sie vom Markt. Auf diese Weise werden Güter und Dienstleistungen für den Konsum der Gesellschaft bereitgestellt.

Auch der Staat kann Güter und Dienstleistungen produzieren. Er kann diese entweder selbst herstellen oder sie von privaten Unternehmen erwerben, die diese andernfalls nicht herstellen würden. Adam Smith befürwortete die Bereitstellung von Bildungsdienstleistungen durch den Staat, da sich nicht alle Bürger*innen einen privaten Schulbesuch für ihre Kinder leisten könnten. Schulen sind daher staatlich organisiert, wobei der Staat das Gemeinwohl seiner Bürger*innen im Blick hat und nicht nach Gewinnmaximierung strebt. So ist der Besuch einer öffentlichen Schule in Deutschland kostenlos.

Staatliche Ausgaben und Geldschöpfung

Neben den beiden genannten Produktionsweisen existiert auch die Produktion in Haushalten, die Care-Arbeit. Da diese jedoch unbezahlt ist, wird sie weder im Konsumentenpreisindex berücksichtigt, noch als Beschäftigung gezählt. In einer industrialisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gibt es also im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, Güter und Dienstleistungen am Markt zu produzieren: Entweder produzieren private Unternehmen oder der Staat produziert selbst.

Dabei schöpft der Staat sein eigenes Geld über die staatliche Zentralbank, die Deutsche Bundesbank. Die Zentralbank wiederum ist für die Geldschöpfung im Eurosystem verantwortlich, wie es auch von Christine Lagarde bestätigt wurde. Dieses System setzt sich aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZB) zusammen. Die Währung wird digital hergestellt, weshalb das Geldsystem wie ein Punktestand im Computer funktioniert. Genau wie die Buchstaben, aus denen dieser Text besteht, wird auch das Guthaben auf unseren Konten bei den Banken durch den Computer erzeugt. Es handelt sich also um Einträge in digitalen Kontensystemen, die von Banken und Zentralbanken verwaltet werden.

Eine zentrale Einsicht ist, dass der Bund im Gegensatz zu privaten Haushalten und Unternehmen Zahlungen tätigen kann, ohne vorher „Geld” zu haben. Es wird durch die Bundesbank bei der Ausgabe erzeugt und bei Steuerzahlungen entsprechend wieder vernichtet. Die Vorstellung, dass die Steuerzahler*innen den Staat finanzieren, ist somit falsch. Alle Zahlungen der Bundesregierung werden durch die Schaffung von neuem digitalem Geld in Form von Bankguthaben bei der Zentralbank ausgeführt. Der Staat ist also mit seinen Ausgaben ein sehr wichtiger Faktor, weil er die Nachfrage nach Gütern und damit Produktion und Beschäftigung verändert.

Welche Art der Wirtschaftslenkung brauchen wir?

Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und der Großen Finanzkrise von 2008/09 haben deutlich gemacht, dass der Staat die Wirtschaft mithilfe seiner Ausgaben steuern muss. Es gibt keine Tendenzen, die zu einer „Selbstregulierung“ der Wirtschaft führen würden. Eine Wirtschaft erreicht weder Vollbeschäftigung noch Preisstabilität aus eigener Kraft. Ein nachhaltiges Ressourcenmanagement (Rohstoffe, Energie, Wasser, usw.) kann nur durch staatliches Eingreifen erreicht werden.

Wenn die Wirtschaft Ziele wie Vollbeschäftigung, Preisstabilität und nachhaltiges Wirtschaften nicht aus sich selbst heraus erreicht, wie müssen dann wirtschaftspolitische Instrumente aussehen und eingesetzt werden? Derzeit herrscht unter Wirtschaftspolitiker*innen der Konsens, dass der Zentralbank die Verantwortung für die Inflationsrate übertragen wird und der Staat mit seiner Fiskalpolitik (Staatsausgaben und Steuersystem) eine passive Rolle spielt. Die EZB hat ein festgelegtes Inflationsziel von zwei Prozent und nutzt hierfür einige selbst bestimmte Zinssätze als Instrument. Diese bilden die Basis der Kreditzinsen für Banken, die Haushalten und Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Der aktuelle Konsens ist, dass höhere Zinsen der EZB dazu führen, dass sich private Investitionen weniger lohnen. Dies würde zu einer Senkung der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sowie nach Arbeit führen. Des Weiteren würde der Druck auf Preise und Löhne abnehmen und die Inflationsrate zurückgehen.

Allerdings würde dies auch zu einem unerwünschten Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, also ein Teil der Gesellschaft infolge der Verfolgung der Preisstabilität in die Arbeitslosigkeit geschickt. Der US-Ökonom Larry Summers schlug der gegenwärtigen US-Regierung genau diese Maßnahmen vor, unter der Annahme, dass zu hohe Ausgaben der Treiber der erhöhten Inflationsraten sind.

Die Regierung setzt allerdings auf „Bidenomics“, eine alternative Wirtschaftspolitik. Im Gegensatz zu Summers identifizieren die Ökonom*innen der Biden-Regierung wie auch viele ihrer Kolleg*innen die erhöhten Energiepreise als den wahren Grund für die erhöhten Inflationsraten. Entsprechend waren die Zinserhöhungen in den USA und anderswo bisher weitgehend wirkungslos. Obwohl sie laut aktuellem Konsens zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen sollten, ist das Resultat aktuell eine Rekordbeschäftigung. Ein möglicher Crash auf dem US-Immobilienmarkt wäre kein wirtschaftspolitischer Erfolg, sondern würde große neue Probleme schaffen. Vermutlich wären die Energiepreise auch ohne Zinserhöhungen gesunken, wie das Beispiel Japans zeigt, wo die Zentralbank die Zinsen nicht erhöht hat.

Gleichzeitig verabschiedeten sie sich von der Idee des „trickle-down growth”, also der Vorstellung, dass Steuererleichterungen für Reiche zu mehr Investitionen und damit zu mehr Beschäftigung, höherer Produktivität und mehr Produktion führen. Diese Ergebnisse sind jedoch weder in den USA noch in Deutschland, wo die Steuererleichterungen der rot-grünen Bundesregierung der Jahrtausendwende nicht die erhofften Ergebnisse brachten, eingetreten. Die Regierung Biden verwendet die Staatsausgaben stattdessen für grüne Investitionen, die zugleich gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze schaffen und das Ziel der Vollbeschäftigung erreichen sollen. Dabei setzt sie auf „crowding-in“ (Aktivierung), denn wenn der Staat seine Ausgaben erhöht, müssen private Unternehmen investieren, um staatliche Aufträge erhalten zu können.

Wirtschaftstheorie für das 21. Jahrhundert

Derzeit beobachten wir in den USA eine neue Wirtschaftspolitik, die Staatsausgaben einsetzt, um Nachhaltigkeit, Preisstabilität und Vollbeschäftigung zu erreichen. Durch grüne Investitionen, wie zum Beispiel in Hochgeschwindigkeitszüge, Elektroautos und Solaranlagen, unterstützt die US-Regierung private Unternehmen bei der Umrüstung ihrer Produktion. Auch wenn die Programme noch nicht groß genug sind, ist dies ein wichtiger Fortschritt. Die Obergrenze für zusätzliche Staatsausgaben liegt in der Beschränkung der Ressourcen und Arbeitskräfte. Zum einen entzieht der Staat durch seine Ausgaben dem privaten Sektor diese Ressourcen, was die Produktion von Konsumgütern voraussichtlich reduziert. Zum anderen kann der Staat nur das kaufen, was ihm seine Unternehmen und BürgerInnen verkaufen, und das ist nun mal begrenzt.

Eine Umsetzung der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik in der Eurozone wäre derzeit schwierig, da den nationalen Regierungen enge Defizitgrenzen gesetzt sind, die nur bis Ende dieses Jahres ausgesetzt wurden. Sollten die Staatsausgaben nach Abzug der Steuereinnahmen drei Prozent des BIP übersteigen, müsste nach den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts ein Defizitverfahren eingeleitet werden, das zu Kürzungen der Staatsausgaben führen würde. Hier stehen bestehende Institutionen einer modernen Wirtschaftspolitik im Wege, insbesondere hinsichtlich grüner öffentlicher Investitionen. So argumentiert selbst das arbeitgeberfinanzierte Institut der Wirtschaft (IW) gerade gegen die nationale Schuldenbremse, die diese notwendigen öffentlichen Investitionen verhindert.

Eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik sollte so ausgerichtet sein, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit höchste Priorität und Vorrang vor anderen Zielen wie Vollbeschäftigung oder Preisstabilität hat, und diese nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dazu sollte das Ziel der Vollbeschäftigung mit Hilfe von Fiskalpolitik, also über eine Variation der Staatsausgaben, verfolgt werden.

Dabei ist aber stets auch die Preisstabilität zu berücksichtigen. Wenn der Staat knappe Ressourcen benötigt, können selbst geringe Erhöhungen der Staatsausgaben stark inflationär wirken. Wie Isabella Weber deutlich macht, sollte der Staat dort lenkend in die Preisgestaltung eingreifen, wo Marktergebnisse nicht akzeptabel sind. Eine derartige Wirtschaftspolitik ist wesentlich besser geeignet, die Ziele Vollbeschäftigung, Preisstabilität und nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung zu erreichen, als eine weitere Fokussierung auf die weitgehend wirkungslosen Zentralbankzinsen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Fiskalpolitik

Eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist der sozialökologische Wandel und die Transformation. Dabei geht es um die Neuorganisation der aktuellen sozioökonomischen Strukturen und Institutionen auf eine Weise, die mit den sozialen und ökologischen Grenzen vereinbar ist. Obwohl vereinzelt einige Entwicklungen auf eine Krise des Vertrauens in Expert:innenwissen hindeuten (wie etwa Klimawandel-Leugnung, Fake News oder Covid-Proteste), wird die existenzielle Bedrohung der menschlichen Lebensgrundlage aufgrund des rapide fortschreitenden Klimawandels und des weitreichenden Verlusts der Biodiversität in akademischen und politischen Debatten mehrheitlich nicht grundlegend in Frage gestellt.

Die sozialökologische Transformation ist jedoch ein äußerst komplexes Thema, da hier verschiedene Prozesse miteinander verflochten sind. Dazu zählen beispielsweise die Mehrdimensionalität und Ko-Evolution, die Beteiligung verschiedener Akteur:innen, Stabilität und Veränderungsdynamiken, Pfadabhängigkeiten, langfristige Auswirkungen, (fundamentale) Unsicherheit, politische Machtasymmetrien sowie normative Grundlegungen, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Dimensionen umfassen. Planetare Grenzen und ökologisch irreversible Kippunkte wurden vor allem in den Naturwissenschaften ausgiebig untersucht und dargestellt.

Die multiplen Interdependenzen der sozialökologischen Transformation erfordern dagegen sozialwissenschaftliche und ökonomische Forschungsansätze, die mainstreamökonomischen Kernannahmen wie Wirtschaftswachstum, privates Eigentum, Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz, methodologischem Individualismus und lokale Nichtsättigung von Konsumpräferenzen in Frage stellen oder diesen entgegenstehen. Ökonomische Ansätze, die diese Problemstellungen stärker ins Zentrum stellen, wie Suffizienzpolitik und -ökonomie, Doughnut-Economics oder auch post- und de-growth Ansätze, haben bisher wenig Eingang in akademische Debatten gefunden. Dringend notwendige Transformationsforschung muss dabei inter- und transdisziplinär, radikal innovativ und multiperspektivisch sein, und insbesondere auch langfristige Forschungsagenden umfassen.

In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, warum das derzeitige universitäre Wissenschaftssystem und seine inhärenten wettbewerbsorientierten Evaluationsmechanismen in vielen Bereichen ungeeignet sind, um eine unterstützende Rolle bei der Transformation zu spielen, und – ökonomisch gesehen – die falschen Anreize für die Transformationsforschung setzen. Konkret sollen die ungenügenden Voraussetzungen für gesellschaftskritische Transformationsforschung unter den institutionellen Rahmenbedingungen kapitalistischer Universitäten beleuchtet werden, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch neoliberale Umstrukturierungen und Universitätsreformen geprägt wurden.

Managerial Turn und Verwettbewerblichung der Hochschulen

Der managerial turn hat auf Basis der neoliberalen Kritik an der mangelnden „Effektivität“, „Produktivität“ und „Leistungsfähigkeit“ staatlicher Hochschulen eine Transformation des universitären Selbstverständnisses von einer staatlichen Bildungseinrichtung hin zu wettbewerbsfähigen Unternehmen  vollzogen (siehe die umfangreichen Arbeiten zum „Akademischen Kapitalismus“ von Richard Münch). Der managerial turn in der Hochschulbildung stützt sich daher stark auf die Anwendung standardisierter bibliometrischer Evaluationsmethoden, die seit den 1960er Jahren entwickelt wurden. Dazu gehören zum Beispiel der Science Citation Index (SCI), der Journal Impact Factor sowie die Erweiterung der Datenbank Web of Science.

Somit wurde es möglich, den wissenschaftlichen Output in Form von Zitations- und Impact-Scores zu messen, wodurch eine metric tide in Gang gesetzt wurde. Durch die Digitalisierung von Publikationsorganen und den damit verbundenen bibliometrischen Informationen sind Indikatoren und Zitationsmaße (z.B. der Hirsch-Index) zu einer leicht zugänglichen Quelle für die wettbewerbsorientierte Organisation der Qualitätskontrolle und damit der Stratifikationsdynamik in der Wissenschaft geworden.

Dadurch intensivierten sich zunehmend die wettbewerbsförmigen Beziehungen zwischen akademischen Einrichtungen und einzelnen Wissenschaftler:innen. Zugleich sind Universitäten im deutschsprachigen Raum noch immer weitreichend vom Modell der Ordinarienuniversitäten mit starkem hierarchischem Gefälle geprägt, Tilman Reitz spricht hier von „Verhofung“ und „Disziplinierung“ moderner Universitäten. In vielen Bereichen verbinden Universitäten ein problematisches Neben- und Miteinander von neo-feudaler Herrschaftslogik mit neoliberaler Flexibilisierung und Prekarisierung. Damit verknüpfen sie das Schlechteste dieser beiden Welten und bilden wohl kaum einen guten Nährboden für gesellschaftskritische und zukunftsgerichtete Transformationsforschung.

Die mit dem managerial turn in Gang gesetzte Wettbewerbsorientierung in der Governance von Hochschulen hat eine competition ecology (Wettbewerbsökologie) geschaffen, die auf verschiedenen ontologischen Ebenen wirkt. Dieser sehen sich immer mehr Forschende und akademische Institutionen ausgesetzt. So konkurrieren Forscher:innen auf Mikroebene um Sichtbarkeit, Forschungsmittel und (unbefristete) Stellen. Auf Mesoebene kämpfen Universitäten um Positionen, Sichtbarkeit, Studierende und Forschungsmittel, während auch Staaten etwa um Exzellenzcluster konkurrieren.

Im Zuge dieser Entwicklung kam es in Deutschland und Österreich in den letzten Jahren zu einer massiven Ausweitung von Drittmittel-Forschung und Projektmitarbeiter:innen. Damit verbunden ist auch eine immer stärkere Projektifizierung von Wissensproduktion, sprich eine Forschungsorganisation, die sich auf die Lösung klar abgesteckter Forschungsfragen in gegebenen und oft engen Zeitrahmen konzentriert. Damit einher geht ebenfalls die immer stärkere Output-Orientierung von Wissensproduktion, die unter dem Ausdruck „publish or perish“ von vielen Seiten kritisiert wird.

Die Kosten des Wettbewerbs

Die weitgehende Verwettbewerblichung von Wissenschaft auf diesen unterschiedlichen Ebenen setzt viele negative Anreize in der Wissensproduktion. Sie führt außerdem zu hohen Kosten des Wettbewerbs in mindestens drei Bereichen: wissenschaftlich-epistemologische, soziale und psychologische, sowie ökonomische Kosten des Wettbewerbs.

Als wissenschaftlich-epistemologische Kosten des Wettbewerbs können sowohl die Projektifizierung von Forschung an sich, aber auch die mangelnde Innovationsfähigkeit von Wissenschaft betrachtet werden, wie kürzlich in einer Studie in Nature dargelegt wurde. Weiterhin kann auch die Replikationskrise der Sozialwissenschaften und die Marginalisierung von heterodoxer Forschung abseits des ökonomischen Mainstreams als Folge der Metrifizierung der Forschungsevaluation und des damit verbundenen Publikationsdrucks gesehen werden.

Unter sozialen und psychologischen Kosten des Wettbewerbs verstehen wir die hohe Belastung mit Stress und psychischen Problemen, die laut mehreren aktuellen Studien insbesondere jüngere Forscher:innen betrifft, und auf eine „toxische Wissenschaftskultur“ zurückgeführt wird. Bedingt durch prekäre Arbeitsrealitäten an Universitäten zeigen sich zudem eine Reihe von sozialen Homogenisierungstendenzen entlang von Geschlecht, Herkunft und Klasse. So liegt der Frauenanteil unter Professor:innen in Deutschland und Österreich unter 30%, trotz verschiedener Gleichstellungsmaßnahmen.

Die ökonomischen Kosten des Wettbewerbs umfassen administrative und „Verfahrens“-Kosten. Diese beinhalten zunächst die Kosten des Nicht-Erfolgs, zu denen auch der Wert, der für Planung und Erstellung von Vorschlägen für nicht genehmigte, jedoch oft sehr gut bewertete Projekte gehört. Die Europäische Universitätsvereinigung schätzt, dass 30-50% der von den Ländern aus Horizon 2020 erhaltenen Mittel für die Deckung der Kosten aller Anträge verwendet werden, was an sich schon einen alarmierenden Anteil darstellt. Dazu kommen Kosten für das Verfassen von Gutachten zur Evaluierung von Anträgen: So wird für das britische Research Council im Jahr 2005/06 geschätzt, dass der Zeitaufwand für die Gutachten 192 Jahre betragen hat.

Neben diesen Umsetzungskosten kommen gerade im Bereich der kompetitiven Drittmittelvergabe auch noch administrative Kosten für die Prozessabwicklung auf verschiedenen bürokratischen Ebenen in unterschiedlichen Institutionen hinzu: von Universitäten, etwa Drittmittelstellen, Personalabteilungen, Forschungsservice, Rechtsabteilungen, bis hin zu nationalen und internationalen Förderstellen. Auf Basis der aktuellen Forschungslage in den hier angeführten drei Bereichen (Antragserstellung, Begutachtung und Administration/Organisation) lässt sich schätzen, dass nahezu 100% der über kompetitive Forschungsförderung vergebenen Drittmittel direkt oder indirekt für die Organisation und Umsetzung dieses Wettbewerbs verwendet werden. Hinzu kommen noch die Monopolrenten, welche Wissenschaftsverlage durch die Privatisierung von Wissensprodukten abschöpfen.

Die vier Ds einer kritischen, transformativen Akademia

Zusammenfassend hält die inhärente Wettbewerbslogik moderner kapitalistischer Akademia keine guten Rahmenbedingungen für gesellschaftskritische Transformationsforschung bereit. Vielmehr werden Inter- und Transdisziplinarität, Innovation und Forschung abseits des Mainstreams, Multiperspektivität und langfristige Forschungsagenden eher behindert als gefördert. Eine kritische Akademia, die besser geeignet wäre, Transformationsforschung zur Bewältigung der aktuellen Multikrisenphänomene zu unterstützen, müsste hingegen vor allem folgende vier Anforderungen erfüllen:

Erstens, die Dekommodifizierung der Hochschule: Dazu gehören insbesondere die Ent-Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen für Forscher:innen, die es ermöglichen, langfristige Forschungsperspektiven zu entwickeln und zu verfolgen und auch Möglichkeiten des Scheiterns ernst zu nehmen. Damit einher gehen muss eine Abkehr von bisherigen metrifizierten Leistungs- und Bemessungslogiken und eine Veränderung der Anerkennungs- und Verteilungsmechanismen im Wissenschaftssystem, um Forschung, Lehre und Wissenstransfer gleichermaßen einzubeziehen.

Zweitens, die Demokratisierung der Hochschulen: Die inneruniversitäre Entscheidungsfindung erfolgt in aktuellen Universitäten nicht oder allenfalls vor-demokratisch. So besteht im mehrstufigen, hierarchischen System der Kurien eine Machtasymmetrie, die Abhängigkeiten verschärft und intransparente Netzwerkstrukturen begünstigt – in vielen Fällen zum Nachteil jener sozialen Gruppen, die nicht die nicht dem hegemonialen Personenkreis an Universitäten angehören, wie etwa Frauen, Personen aus weniger privilegierten Klassenlagen oder Migrationsbiographien.

Drittens, Diversität und Inklusion: Diversität bezieht sich dabei sowohl auf das gleichberechtigte Zusammenwirken unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen und der Förderung des inter- und transdisziplinären Dialogs, als aber auch auf die Förderung diverser Karriereprofile, wie es jüngst auch in der CoARA-Initiative (Coalition for Advancing Research Assessment) der EU-Kommission eingefordert wurde.  Einen Schritt in diese Richtung stellt der Zusammenschluss von öffentlichen Forschungseinrichtungen in den Niederlanden mit ihrem Ziel des „Redesigning academic career paths“ dar.

Viertens, Stärkung des Dialog der Wissenschaft mit der Gesellschaft: Dem Beispiel der Forderung einer public sociology von Burawoy folgend, müssen Auseinandersetzungen mit nicht-wissenschaftlichen gesellschaftlichen Akteur:innen verstärkt werden. Während es zwar gerade im Bereich der Third-Mission als neues Leistungsziel Bestrebungen in Richtung einer Höherbewertung von Wissenstransfer gibt, sollen hier aber keine neuen Logiken des Wettbewerbs (z.B. Anzahl an Medienauftritten, Zeitungskommentare und der gleichen) implementiert werden. Stattdessen fordert Burawoy die Verstärkung des Austauschs und wechselseitiger Lernprozesse, insbesondere Teile der Zivilgesellschaft betreffend, die normalerweise nicht im Fokus des öffentlichen Medieninteresses stehen, wie lokale communities, Vereine, Gewerkschaften oder soziale Bewegungen.

Eine Universität des 21. Jahrhunderts, die für die großen Herausforderungen der Zukunft gerüstet ist, muss somit nicht nur die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft wahrnehmen, sondern sich auch aktiv gegen den Wachstumszwang kapitalistischer Kapitalakkumulation positionieren, um Räume für innovative und transformative Wissensgenerierung zu schaffen.

 

Zu den AutorInnen:

Stephan Pühringer ist Sozioökonom und stellvertretender Leiter des Instituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE) an der Johannes Kepler Universität Linz. Derzeit leitet er das interdisziplinäre FWF-Zukunftskolleg SPACE. Seine Forschungsinteressen umfassen Kritische Wettbewerbsforschung, die politische Ökonomie der Sozialökologischen Transformation, Wissenschaftsforschung, sowie Neoliberalismusstudien.

Carina Altreiter ist Soziologin an der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht zu den Themen Transformation der Arbeitswelt, soziale Ungleichheit, politische Verarbeitung des sozio-ökonomischen Wandels und Verwettbewerblichungsprozessen.

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