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Erstveröffentlichung im Makronom
In kaum einem anderen Bereich stehen kurzfristige, private Interessen so stark im Konflikt mit langfristigen, gesellschaftlichen Interessen wie in der Autoindustrie. Wie könnte diese Diskrepanz langfristig verringert werden?
Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandel diskutiert.
Es gibt keinen realistischen Weg zum 1,5 Grad-Ziel, der nicht eine drastische Reduktion in der Nutzung privater Automobile beinhaltet. Denn auch die E-Mobilität löst nicht alle Ressourcenprobleme des motorisierten Individualverkehrs, wie zum Beispiel Herstellungs- und Entsorgungsemissionen. Daneben hängt der Erfolg von E-Mobilität entscheidend vom Strommix und dem Ausbau erneuerbarer Energien ab. Eine Strategie, die weiter darauf setzt, dass mehr als 80% der Wege in privaten PKWs zurückgelegt werden, ist nicht zukunftsfähig.
Dass es effizientere Wege gibt, Mobilität zu gestalten, als Millionen von Menschen alleine in tonnenschweren Blechkisten zu transportieren, dürfte allen unmittelbar einleuchten. Eine ernsthafte sozial-ökologische Transformation des Verkehrssektors würde unter anderem Autobahnbaustopp, erhöhte CO2-Steuern und staatliche Investition in neue Technologien und Infrastruktur bedeuten. Damit stellt sich auch die Frage, wie wir als Gesellschaft mit der Automobilindustrie umgehen wollen. Und vielleicht noch wichtiger: Welche sozialen Kräfte können eine notwendige Transformation – in der Automobilindustrie und darüber hinaus – herbeiführen?
Bisherige Antworten auf diese Fragen bleiben überwiegend in der neoliberalen Dichotomie von Politik und Ökonomie, Markt und Staat verhaftet. Quer durch politische Parteien, Gewerkschaften und soziale Bewegungen werden vor allem marktwirtschaftliche Anreizsetzungen (wie zum Beispiel CO2-Emissionshandel, Besteuerung und Subventionen) gefordert. Der „Markt“ wird darin als abgegrenzte Sphäre mit eigenen natürlichen Regeln verstanden, die politisch nicht gestaltbar sind.
Der sozial-ökologische Umbau wird nur gelingen, wenn er von Arbeitenden und Umweltbewegung gleichermaßen vorangetrieben wird
Welche Macht- und Entscheidungsstrukturen innerhalb von Unternehmen bestehen, wird darum nur selten als politische Frage thematisiert. Diskussionen über die richtigen Anreizsetzungen sind teilweise sinnvoll und insbesondere die weitergehende Frage nach einer größer angelegten staatlichen Industriepolitik – wie zum Beispiel in den ambitionierteren Versionen des Green New Deals – werden wichtig bleiben. Wenn wir jedoch langfristig eine soziale und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise etablieren wollen, dann gilt es, die Ökonomie selbst zu politisieren und damit gestaltbar zu machen. Wie kann die Ökonomie zum Ort pluraler und demokratischer Eigentumsmodelle werden, die langfristigen und nachhaltigen Wohlstand sichern? Ein Baustein und erster Schritt in Richtung einer solchen demokratischen Wirtschaft ist die Demokratisierung von Großkonzernen.
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Der sozial-ökologische Umbau wird nur gelingen, wenn er als gemeinsames gesellschaftspolitisches Projekt von Arbeitenden und Umweltbewegung gleichermaßen vorangetrieben wird. Ohne das Wissen, die Fähigkeiten und die politische Macht der Arbeitenden in den Industrien, die transformiert werden müssen, wird ein ernsthafter ökologischer Umbau nur schwer möglich sein.
Dass bisher nur an wenigen Stellen Allianzen zwischen Arbeitenden und der Umweltbewegung gelungen sind, hat recht einfache materielle Gründe. Unter den gegebenen politischen Verhältnissen und den bestehenden Entscheidungs- und Machtstrukturen in der Industrie ist es aus Sicht der Arbeitenden in Automobilkonzernen völlig rational, sich gegen CO2-Steuern, Verbrennerverbote und ähnliches zu wehren. Denn mit Recht gehen Arbeitende davon aus, dass die damit verbundenen Transformationsprozesse auf ihrem Rücken ausgetragen werden könnten. Leider sind genau das die Forderungen, die in der Umweltbewegung betont werden. So ist zum Beispiel eine der Kernforderungen von Fridays4Future immer noch das Marktinstrument eines erhöhten CO2-Preises.
Die Gegnerschaft zwischen ökologischen und sozialen Zielsetzungen basiert jedoch nicht auf einem realen Interessengegensatz. Denn letztendlich teilen Arbeitende und Umweltbewegung den Wunsch nach guter Arbeit, langfristigem Wohlstand und ökologischer Nachhaltigkeit. Solange jedoch Entscheidungen über ökonomische Prozesse in privaten Händen verbleiben, werden sich immer wieder Konfliktlinien zwischen Umweltschutz und Arbeitsplätzen ergeben. Die Tatsache, dass die in vielerlei Hinsicht bedeutsamsten Institutionen der Ökonomie – Großunternehmen – allein den kurzfristigen Interessen von Anteilseigner*innen (Shareholder) dienen, ist jedoch nicht naturgegeben, sondern das Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse und damit verhandelbar. Für ein Zusammendenken von sozialen und ökologischen Zielsetzungen lohnt es sich daher, einen genaueren Blick auf die Entscheidungsstrukturen und internen, institutionellen Strukturen von Großunternehmen zu werfen.
Aus politisch-theoretischer Perspektive lässt sich zunächst feststellen, dass die Institutionen eines Großunternehmens in ihrer Form denen eines modernen Staates bemerkenswert nahe sind. Die Shareholder (das Volk), wählen einen Aufsichtsrat (die Legislative), welche den Vorstand (die Exekutive) ernennt und kontrolliert. Inhaltlich ist das Modell aber näher an einer Autokratie als an einer repräsentativen Demokratie, denn Entscheidungen werden von wenigen getroffen. Der demokratische Grundsatz, dass Entscheidungen von jenen getroffen werden sollen, die auch von ihnen betroffen sind, gilt nicht in der derzeitigen Wirtschaftsweise.
Wie so oft bei demokratietheoretischen Debatten ist jedoch die entscheidende Frage, wer eigentlich „das Volk“ ist. Es ist offensichtlich, dass nicht nur die Anteilseigner*innen von den Entscheidungen eines Großunternehmens betroffen sind. Was Großunternehmen tun, betrifft in erster Linie die Arbeitenden, aber auch Konsument*innen, die Umwelt, und die Kommunen, in denen sie ansässig sind, sowie Arbeitende und weitere Betroffene entlang der Lieferkette. Im öffentlichen Diskurs werden jedoch Unternehmen oder sogar die Wirtschaft an sich in aller Regel mit der Leitungsebene oder den Anteilseigner*innen gleichgesetzt. Dabei können gerade Arbeitende nicht nur als austauschbarer Input verstanden werden, denn sie geben nicht nur ihre Arbeitszeit, sondern unternehmensspezifische Fähigkeiten, Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen und ihrer Arbeit in den Produktionsprozess ein. Für die reale Produktion sind die Arbeitenden maßgeblich, während die einzige Funktion der Shareholder ist, austauschbares Kapital für Investitionen bereitzustellen.
Die Ausrichtung der Unternehmensführung an den Interessen der Shareholder (in der Regel vor allem Steigerung des Aktienwertes und hohe Dividenden), schafft einen Anreiz, negative Effekte auf jene Interessensgruppen abzuwälzen, die nicht im Unternehmen repräsentiert werden. Wechselt ein Unternehmen beispielsweise den Standort um Arbeitskosten zu senken, hat das zahlreiche negative Auswirkungen auf die Arbeitenden und Menschen vor Ort, die nicht in der Kosten-Nutzen-Kalkulation vorkommen. Der Staat kann diesen Effekten zwar mit Gesetzen zu einem gewissen Grad entgegenarbeiten, kämpft dabei aber immer gegen die in kapitalistischen Großunternehmen verankerte Logik. Das wirtschaftsdemokratische Ergänzungsstück externer, staatlicher Regulierung wäre eine Verankerung anderer Logiken innerhalb der Unternehmen.
Die Orientierung an der Shareholder-Logik hatte und hat gerade im Automobilsektor gravierende Folgen. Während Unternehmen, die allein auf kurzfristige Aktienwertsteigerungen zielten, oftmals vom Markt verschwanden, konnten sich einige wenige Großunternehmen durch Fusionen und Übernahmen durchsetzen. So hat sich die Zahl der deutschen Automobil-Großkonzerne auf drei reduziert (Volkswagen, Daimler, BMW). Diese Großkonzerne üben entlang der Lieferkette Druck auf Zulieferer aus, schütten Jahr für Jahr hohe Dividenden aus und arbeiten über ihre Lobbyorganisationen gegen effektive Klimapolitik.
Die radikale Kurzfristigkeit der Aktienmarktlogik steht dem langfristigen gesellschaftlichen Interesse an einem sozial-ökologischen Umbau des Automobilsektors entgegen
Darüber hinaus halten sie an nicht zukunftsfähigen Geschäftsmodellen fest. So sind SUVs mittlerweile das größte Fahrzeug-Segment deutscher Hersteller (etwas mehr als 20%, Tendenz steigend), und während die Absätze in den Industrienationen rückläufig sind, wird insbesondere der chinesische Markt mit Luxusautos versorgt. Dabei greifen die drei großen Hersteller indirekte und direkte Subventionen in Höhe von etwa 15 Milliarden Euro pro Jahr ab (zum Beispiel durch Steuervergünstigungen für Diesel, das Dienstwagenprivileg sowie staatliche Kaufförderung für Elektroautos). Darin nicht eingerechnet sind die enormen öffentlichen Investitionen in den Ausbau der Straßeninfrastruktur. Zuletzt wurden auch in der Corona-Krise trotz staatlicher Krisenquerfinanzierung durch Kurzarbeit wieder hohe Dividenden ausgeschüttet.
Die radikale Kurzfristigkeit der Aktienmarktlogik steht dem langfristigen gesellschaftlichen Interesse an einem sozial-ökologischen Umbau des Sektors entgegen. Um mit diesen verfestigten Strukturen zu brechen, ist eine Konversion der Automobilbranche notwendig. Der Begriff Konversion meint hier die durch Arbeitende getragene Überführung schädlicher Industrien in gesellschaftlich sinnvolle Produktion und hat vor allem im Bereich der Rüstungsindustrie eine reiche Geschichte.
Grundsätzlich sind die Bedingungen für eine Konversion des Sektors nicht schlecht. Zum einen ist die Automobilproduktion zumindest teilweise technologisch so weit fortgeschritten, dass ein Umstieg auf alternative Produkte relativ leicht wäre. Zum anderen gibt es mit dem deutschen Mitbestimmungsmodell starke Anknüpfungspunkte für eine demokratische Beteiligung an Unternehmen. Eine allein durch Regulierung forcierte Transformation wird starke Widerstände in betroffenen Regionen und unter den Beschäftigten hervorrufen. Demokratisierung könnte hingegen Akzeptanz für den nötigen Strukturwandel herstellen und das Wissen, die Fähigkeiten und die politische Kraft der Beschäftigten für Konversionsprozesse mobilisieren.
In der Automobilindustrie stehen wie in kaum einem anderen Bereich kurzfristige, private Interessen im Konflikt mit langfristigen, gesellschaftlichen Interessen. Die langfristige Lösung für diese Diskrepanz ist die Überführung in gesellschaftliches Eigentum beispielsweise durch eine Mischung aus staatlicher, gewerkschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Anteilseignerschaft. Eine solche vollständige Demokratisierung scheint jedoch aus verschiedenen Gründen kurzfristig nicht realistisch.
Um Handlungsspielräume für die Realisierung einer umfassenden Vergesellschaftung zu öffnen wäre im ersten Schritt über Forderungen nachzudenken, die im Hier und Jetzt umsetzbar sind, strategische Anknüpfungspunkte bieten und Potentiale für weitere Demokratisierung eröffnen. Ein niedrigschwelliger, erster Ansatzpunkt könnte beispielsweise eine neue Zusammensetzung des Aufsichtsrates als Legislative des Unternehmens sein, da dieser bisher mehrheitlich von Anteilseigner*innen besetzt wird. So könnte eine progressive Reform des Mitbestimmungsgesetzes die mehrheitliche Besetzung des Aufsichtsrats durch Arbeitende ermöglichen. Damit wäre in einem ersten Schritt die Position der Arbeitenden gestärkt und dadurch eine weitere Demokratisierung wahrscheinlicher.
Zu den Autoren:
Vincent Janz hat Ökonomie studiert und forscht zu bewegungsverbindenden, progressiven Narrativen wie dem Green New Deal. Bei communia arbeitet er als Projektkoordinator für die Konferenz „Vergesellschaftung – Strategien für eine demokratische Wirtschaft“ und engagiert sich zusätzlich in Köln als Programmkoordinator beim „Tag des Guten Lebens“.
Lukas Warning ist Autor von „Aufbruch in eine demokratische Wirtschaft: Wie Kommunen demokratische Unternehmen stärken können”. Er war als Bildungsreferent für Klimagerechtigkeit und als Koordinator des Aktionsbündnis Wachstumswende Bremen tätig. Aktuell arbeitet er als Campaigner für eine gerechte Wirtschaft bei Oxfam Deutschland.
Max Wilken hat Ökonomie und politische Theorie studiert und arbeitet zu Konzepten und Theorien einer demokratischen Wirtschaft. Er war Vorstand im Netzwerk Plurale Ökonomik und bereitet eine Promotion zu alternativen Eigentumsmodellen im Verkehrssektor vor.
Alle drei Autoren sind Gründungsmitglieder von communia – Zentrum demokratische Wirtschaft.