Unser Wirtschaftssystem hat sich unsichtbar gemacht und entzieht sich dem Verständnis. In den letzten Jahren hatten wir oft nicht mehr als ein diffuses und unbefriedigendes Gefühl, dass etwas schief läuft. Aber was? Der Dokumentarfilm OECONOMIA deckt die Spielregeln des Kapitalismus auf und macht in einer episodischen Erzählstruktur sichtbar, dass die Wirtschaft paradoxerweise nur wächst, wenn wir uns verschulden, dass Gewinne nur möglich sind, wenn wir uns verschulden. Jenseits der distanzierten Phrasen der Medienberichterstattung, die es letztlich unmöglich machen, die monströse Logik hinter den Grundstrukturen unseres Alltags zu verstehen, macht sich OECONOMIA mit großer Schärfe und luzider Stringenz daran, die Dinge auf die einfachen Regeln herunterzubrechen, den Kapitalismus der Gegenwart zu beleuchten. Es wird ein Nullsummenspiel erkennbar, ein Spiel, das uns und unsere ganze Welt in die Logik einer endlos fortwährenden Kapitalvermehrung stellt - egal, wie hoch die Kosten sind. Ein Spiel, das bis zur totalen Erschöpfung gespielt wird und sich vielleicht seinem Ende nähert.
Der Film steht bis zum 17.01.2024 kostenlos in der 3sat Mediathek zur Verfügung
Dieser Dokumentarfilm von Carmen Losmann geht zunächst der Frage nach dem Ursprung des Geldes nach. Komplexe Zusammenhänge über den Geldkreislauf, das Wirtschaftswachstum und einhergende Verschuldungsdynamiken werden anschaulich peu-à-peu beleuchtet, indem durch vermeintlich einfache Fragestellungen (Wie entsteht Geld? Wie entsteht Geld für Gewinn? Wer übernimmt die Schulden?) einflussreiche Akteure der Finanzbranche schnell die Grenzen Ihres eigenen Verständnisses des Finanz- und Wirtschaftssystems vor Augen geführt bekommen.
Der Film dokumentiert darüberhinaus eine gewisse Eindimensionalität der Wirtschaftswissenschaft und deren symptomatisch anmutenden Gleichgewichtsmodelle, da die Geldmenge als wesentliche Komponente des Wirtschaftswachstums zumeist außen vor gelassen und durch realitätsferne Grundannahmen ersetzt wird. Eine im Film zitierte These von Norbert Häring besagt beispielsweise, dass die Wirtschaftswissenschaft somit lediglich der Verschleierung von Macht diene. Bezogen auf das noch nie zuvor so hohe Spannungslevel zwischen Vermögen und Verschuldungsgrad erscheint die These durchaus berechtigt, auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Ungleichheit der Einkommen und Vermögen. In den letzten Minuten des Films wird außerdem die Option 'Degrowth' thematisiert hinsichtlich des offensichtlichen Wettrennens zwischen dem Kapitalismus und Ökosystem Erde, welches sich augenscheinlich in den letzten Zügen befindet.
Neben diesen durchaus positiven Aspekten, stößt der Film auch auf Kritik. Gelegentlich erlaubt die Regisseurin sich analytische Unschärfen und es werden zuweilen Kausalzusammenhänge impliziert, die sich in der Theorie nicht so direkt ableiten lassen bzw. kontrovers diskutiert werden. Der Film spannt einen Bogen von der derzeitigen Ausgestaltung des Geldes, hin zu Wachstumszwang und Umweltzerstörung. Obwohl dies intuitiv zusammen zu hängen scheint, werden die eigentlichen Komplexitäten des Wirtschaftssystems ausgeblendet und eine einfache Antwort auf eine schwierige Frage produziert.
Auf jeden Fall ist OECONOMIA ein einzigartiger Lehrfilm, der den Zusehenden durchaus Lust auf tiefergehende Reflexion macht. Zu empfehlen sind zum Thema Geldschöpfung die Ausführungen des Soziologen Aaron Sahr (z.B. im Future Histories Podcast) oder aber für umfassendere historische Zusammenhänge der frei-zugängliche Online-Kurs vom Finanzökonomen Perry Mehrling: Economics of Money and Banking (jedoch in englischer Sprache). Vergleichbares Material auf deutsch bietet die Lektüre des Politökonomen Joscha Wullweber eine lesenswerte Einordnung der Thematik, die der Komplexität der Globalen Politischen Ökonomie im Zeitalter des Zentralbankkapitalismus gerecht wird.